Aus dem Leben eines Promis
22 04 2013„Mister, picture please?“ – Wie oft ich diese Frage in letzter Zeit gehört habe, weiß ich schon nicht mehr.
Ich befinde mich auf Java, der Insel mit der höchsten Bevölkerungsdichte weltweit. Menschen, überall Menschen. Und ich bin anders als die meisten Menschen hier: weiße Haut, westliche Gesichtszüge. Von dieser Art tummeln sich nicht viele auf Java, fast niemand. Als ich in Jakarta den Platz rund um das Nationalmonument erkunde, höre ich es zum ersten Mal: „Mister, picture please?“. Für einen Indonesier ein Foto machen? Klar, kein Problem! Erst als ich das leicht verlegene Lachen bemerke, wird mir aber klar, dass ich kein Foto von ihm mit einem schönen Hintergrund machen soll. Nein, ICH soll auf das Bild, gemeinsam mit ihm. Tja, warum nicht? Gesagt, getan… wieder einen Menschen glücklich gemacht. Und schon höre ich erneut „Mister…“ vom nächsten Indonesier. Nun gut, wenn es ihm eine genauso große Freude bereitet. Doch während ich mein zustimmendes Nicken gebe, realisiere ich, wie weitere Menschen etwas vom Kuchen (also von mir) abhaben wollen und sich fast eine kleine Schlange bildet. Also das wird mir dann doch zu viel. Es fühlt sich etwas peinlich an. Ich verstehe die Aufregung um mich nicht ganz, bin ich doch auch nur ein ganz normaler Mensch.
Doch dass ich mit der Meinung, nichts Besonderes zu sein, allein dastehe, merke ich spätestens die folgenden Tage in der Kleinstadt Cianjur. Ohne Ausnahme sehe ich hier eine Woche lang nur Indonesier. Ich wohne bei einer Familie in einem traditionellen Bambushaus. Mein indonesischer Wortschatz vermehrt sich deutlich, denn Englisch spricht hier kaum jemand – außer Ben. Ben ist ein etwas verrückter Indonesier, der sich freut, mir Cianjur und die Umgebung zu zeigen. Da er zu der Sorte Mensch gehört, der in seiner Heimat scheinbar jeden Mitmenschen kennt, werde ich natürlich unzählige Male vorgestellt. Die Indonesier sind wirklich sehr herzliche Menschen, das muss einmal gesagt sein! Dennoch sind mir die in dieser Dimension unbekannten Freuden, mich kennen zu lernen, zunächst ungewohnt. Ab und zu passiert es, dass Ben telefoniert und beiläufig erwähnt, dass er gerade mit mir unterwegs ist. Meist dauert es dann nicht lang, dass ich das Telefon in der Hand halte. Warum? Die Menschen wollen mit mir sprechen, wenn sie mich schon nicht sehen können. Hier bin ich ein Star.
Den einen Tag besuchen wir mehrere Schulen, da Ben selbst Lehrer ist und mich auch interessiert, wie eine indonesische Schule von innen aussieht. Ich schüttele unzählige Hände, überall wird Essen und Trinken angeboten. Sind die offiziellen Begrüßungsformalitäten erledigt, dauert es meist nicht lange, bis das Fotoshooting ansteht. Ich frage, ob denn nicht ein Gruppenbild genügen würde. Nein, häufig will jeder nochmal einzeln mit mir vor die Linse. Nicht selten werde ich gefragt, ob ich denn nicht auch mit meiner Kamera ein Foto von uns beiden haben will. Da mir in diesem Moment jedoch zu selten eine passende Ausrede einfiel, habe ich schon viel zu viele Bilder von mir mit Personen, die ich gar nicht kenne.
Eine der Schulen sticht besonders heraus. Hier wird für mich als Besucher ein ganzes Programm organisiert. Auf ein Konzert mit traditionellen indonesischen Musikinstrumenten folgt die Aufführung einer Tanzshow durch Schulkinder. Ich habe noch nie einen Staatsempfang miterlebt, aber so würde ich ihn mir vorstellen. Im Anschluss an die Show werde ich im Lehrerzimmer kurzerhand gebeten, doch eine 20-minütige Rede über das Bildungssystem in Deutschland zu halten. Ich versuche, mich möglichst intellektuell zu geben, und das soeben im Kopf sortierte Halbwissen kompetent wirken zu lassen.
Einen Tag mache ich mit Ben einen Motorrollerausflug zum Gunung Padang. Auf dem Berg befindet sich die größte Ansammlung von Megalithen in Südostasien. Megalithen sind große Steinblöcke, die früher als Grab- oder Kultanlagen genutzt wurden. Viel interessanter ist aber der Weg dahin: Wir brettern mehreren Straßen hinauf, die mit riesigen Steinklötzen gepflastert sind. Gleich zweimal holen wir uns einen Platten und müssen in den Bergdörfern eine Möglichkeit zur Reparatur suchen. Während der Schlauch schließlich ersetzt wird, höre ich immer wieder einzelne Kinder „Bule, Bule“ tuscheln. Die Gerüchte haben sich anscheinend schnell verbreitet, dass sich gerade ein Bule im Dorf befindet. Mit „Bule“ werden in Indonesien westliche Menschen bezeichnet. Mittlerweile schaut eine ganze Traube Kinder von einem Hügel zu mir herunter. Für manche dieser Kinder bin ich vielleicht der erste Bule, den sie in ihrem Dorf sehen.
Auch im Gefängnis von Cianjur bin ich der bislang einzige Bule. Ja… im Gefängnis! Ben unterrichtet hier einmal wöchentlich Englisch, um die Resozialisierung der Insassen zu unterstützen. Find ich gut, denke ich mir, da bin ich dabei. Als sich jedoch die erste Tür hinter mir schließt, frage ich mich jedoch, ob ich eigentlich noch alle Tassen im Schrank habe. Ein indonesisches Gefängnis, hallo?! Der Höhepunkt der inneren Aufwühlung wird erreicht, als eine Durchsage erfolgt und ich zumindest das Wort „Gereman“ (indonesisch: „Deutscher“) aufschnappe. Wie schön, dass jetzt auch die letzte Zelle über meine Ankunft Bescheid weiß. Ich überlebe jedoch und bin im Nachhinein froh, diese nicht alltägliche Erfahrung eines Gefängnisbesuchs gemacht zu haben. Dies ist übrigens einer der wenigen Orte, an dem ich nicht nach einem Foto gefragt werde. Selbst traue ich mich erst von außerhalb einen Schnappschuss zu wagen.
An meinem letzten Tag in Cianjur weilt der indonesische Präsident in seiner nahe gelegenen Villa. Der Großeinsatz der Polizei ist nicht zu übersehen. Natürlich kennt Ben auch einige der Polizisten des Sondereinsatzkommandos und stellt mich kurz vor. „Mister, picture please?“ … ich glaube es nicht! Diesmal freue ich mich aber darüber, auch mit meiner Kamera ein Beweisfoto machen zu lassen.
Uii, ich will auch ein Bild und am besten mit Autogramm!!
Ich wusste es schon immer, du bist ein verkappter Star!
Witzige Story! See you soon…
Es ist immer wieder herrlich zu lesen, was du so erlebst…Zum Wegschmeißen! 😀 Ich habe den Eintrag auch gleich noch meiner Mitbewohnerin vorgelesen, wir konnten vor lauter Lachen nicht mehr…echt ein super Eintrag!
Liebe Grüße aus Worms 🙂
Musste schon ein paar mal lachen, weil ich genau diese Situationen von meinem mehrwöchigen Aufenthalt auf Lombok kenne: Fotos mit jedem einzelnen machen, am Telefon mit den besten Freunden sprechen (auch wenn der Gegenüber kaum Englisch kann) und mit den schon von weitem „Bulé!!!“ schreienden Dorfkindern spielen 😀
Aber das mit dem Gefängnis ist schon krass 😀